Über das Projekt Hexenküche

Mit dem Projekt Hexenküche begebe ich mich gemeinsam mit Hauke ​​Heumann auf die Suche nach einer Spiritualität, die widerständig und antiessentialistisch ist, und die queerfeministische, emanzipatorische und antikoloniale Botschaften vermittelt.

In den queeren Hexenküchen soll der antiaufklärerischen, antiwissenschaftlichen, ja wissenschaftsfeindlichen Spiritualität und Esoterik – wie sie sich u.a. auf den sogenannten „Hygiene-Demos“ zeigte – entgegengewirkt werden. Die Hexenküchen richten sich auch gegen antisemitische, sexistische und rassistische Verschwörungssideologien, die nicht erst seit Corona existieren.

In meinem Projekt „PostmagicScience“, aus dem die Hexenküche hervorgegangen ist, widme ich mich dem Paradigmenwechsel, der durch den Poststrukturalismus und seine Weiterentwicklung stattgefunden hat. Dieser Paradigmenwechsel ermöglicht – insbesondere auf dem Feld von Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlecht – einen neuen Zugang zu Magie, Spiritualität und Hexerei. Ausgehend von Grundlagentexten des Feminismus, der Gender Studies, des neuen Materialismus und Posthumanismus von u.a. Judith Butler, Karen Barad und Paul B. Preciado soll abstrakte Theorie in sinnliches Empowerment verwandelt werden: zunächst online in Texten und in den „Hexenküchengesprächen“. Hier werden Gäst*innen eingeladen, die aus Wissenschaft, Kultur, Kunst und Aktivismus kommen und die mit uns über Hexen, Magie, Feminismus und andere Themen sprechen.

Inspirationen & Quellen

links (fett) und Hinweise auf/zu/von Künstler_innen, Wissenschaftler_innen, Autor_innen, Netzwerken, die auf die eine oder andere Weise für die Hexenküche und Postmagicscience wichtig sind.

Die worldwidewitches des Johannes Paul Räther.

Annie Sprinkle und Beth Stevens Oecosexuality

Paul B. Preciados “contrasexuelles manifest” und “Testojunkie”.

Hengameh Yaghoobifarahs Artikel zu Gender, Postkolonialität und Hexen sowie Magie. 

S A V V Y Contemporary — The Laboratory of Form-Ideas: Ausstellung The incantation of the disquieting muse. On divinity, supra-realities or the exorcisement of witchery

Karen Barad

Donna Haraway

Silvia Federici

Rosi Braidotti

Network Transforming values

Texte zu Magie und Postmagicscience

Versuchen wir es doch einmal mit vernünftiger Magie.

Aber was ist überhaupt Magie? Darüber gibt das von Susanne Witzgall herausgegebene Buch zu zeitgenössischer Kunst  “Reale Magie” Aufschluss. Hier meine Rezension.

 

Magie, neuer Materialismus und die Witches against Trump: lies hier über meine  Idee der Postmagicscience

Hexen & Queers - unpacking spiritophobia

Hexen & Queers

Mit den queeren Hexenküchen beziehen wir uns auf zwei (ehemalige?) Außenseiter*innenpositionen: Den queeren Menschen und die Hexe.

Queer diente lange Zeit als Schimpfwort, um schwule und lesbische Menschen zu diffamieren. Im Zuge der homophoben Hetze gegen HIV-Positive in den USA eigneten sich LGBTIQ* Aktivist*innen (ACT UP) den Begriff an. Dadurch erfuhr er eine positive Umwertung. Queer wird heute als Sammelbegriff für Personen verwendet, die nicht der heterosexuellen Geschlechternorm entsprechen.

Und die Hexe? In der Küche? Hier beziehen wir uns auf die durch die Frauenbewegung wiederentdeckte Hexe: „Zittert, zittert, die Hexen sind wieder da!“ hieß es auf Demonstrationen der 1970er Jahre (nicht nur in Italien) auf denen gegen sexualisierte Gewalt und sexuelle Diskriminierung demonstriert wurde. Der Begriff der Hexe, ein Schimpfwort, das Frauen als alt, hässlich und bösartig diskriminiert, wurde in einen machtvollen positiven Begriff umgewandelt. Und auch heute sind die Hexen politisch aktiv: 

„Heute schließen sich Hexen, Okkultisten und Magier mehr denn je dem magischen Widerstand an. Heilkreise für Überlebende, Massenverhexungen gegen Faschisten und Missbraucher und kollektive Schutzzauber nehmen zu. Die allgegenwärtige Vorstellung, dass das Politische und das Spirituelle widersprüchlich sind, wird langsam zerstreut.“ (West & Elliott 2019, S. X, eigene Übersetzung)

Darüber hinaus wollen wir uns mit dem Begriff der Küche auch auf Silvia Federicis Kitchen Politics beziehen und verstehen die Küche als politischen Versammlungsort, an dem sich Wissenschaft, Kunst sowie Musik einfinden, um ihre Gäst*innen zu empfangen.

Federicis Arbeiten sind für die aktuelle Rezeption der Hexen von großer Bedeutung. In ihrem Buch über die Zusammenhänge von Hexenverfolgung und (europäischer) Kolonialgeschichte „Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation“ hat sie gezeigt, dass die Entwicklung des Kapitalismus auf das Engste mit der Austreibung der Magie verbunden ist. Wurde zunächst magisches Denken und Wissen per se mit „der Frau“ verbunden (so geschehen im „Hexenhammer“, vgl. Silvia Bovenschen „Die aktuelle Hexe, die historische Hexe und der Hexenmythos. Die Hexe: Subjekt der Naturaneignung und Objekt der Naturbeherrschung“ 1977 ) und „die Frau“ so zu einem übernatürlichen und gleichzeitig naturbeherrschendem Wesen stilisiert, so wurde „die Frau“ zugleich mit „der Natur“ im Zuge der Hexenverfolgung und der  Aufklärung „dem Mann“ sowie „der Kultur“ unterworfen. Bereits Bovenschen warnte vor dem Hintergrund dieser historischen Geschichte und Wirkmächtigkeit des Hexenmythos davor, sich den Hexenmythos feministisch anzueignen. Denn damit würden auch essentialistische Geschlechtervorstellungen, insbesondere die angeblich bestehende besondere Naturverbundenheit von Frauen* wieder evoziert.

Gegen Trump demonstrierten Frauen* vor dem Weißen Haus in Washington, die Schilder trugen mit der Aufschrift „Wir sind die Enkelinnen der Hexen, die ihr nicht verbrennen konntet“. Damit wird eine historische Linie der Unterdrückung und des Widerstands gezogen. Die Hexen gegen Trump versammelten sich, um dessen Gefahr zu mindern. Gleichzeitig wenden sich Feministinnen vehement gegen die Vereinnahmung als „Naturwesen“ (z.B. auf Demonstrationen gegen die sogenannten Lebensschützer, aber auch in feministischer Theorie). Der Wiederaneignung der Magie gilt die Aufmerksamkeit dieser Hexenküche.

Federici u.A. haben gezeigt, dass Frauen* – bzw. Hexen – ihr Wissen über Sexualität, Fortpflanzung, Drogen und Spiritualität im Zuge der Hexenverfolgung entwendet wurde. Ärzte, Geistliche und andere (weiße) Männer eigneten sich dieses Wissen an. Federici betont darüber hinaus auch die Bedeutung der Allmende, eines gemeinschaftlich bewirtschafteten Bodens. Die Abschaffung dieser Grundstücke sowie die Privatisierung von Land und die Entstehung des Kapitalismus im Zuge des Kolonialismus führten zu immer größeren Abhängigkeiten. Mit der Entstehung des Privateigentums wurde auch die Erbfolge patriarchalisch festgelegt. Das Aufgreifen alter Märchenmotive, wie in Hans Unsterns „Haare zu gold“ und deren Transformation in den-Kapitalismus-überwinden-wollende Sehnsuchtsklänge (Unstern spielt auf einer selbstgebauten Harfe u.a. über wimmelnde Ohrwürmer und das zu Gold-Spinnen) erinnert an die arbeitsverweigernde Haltung, die der Magie zu eigen war (oder ist). Dies war ein Grund dafür, Magie „zu verteufeln“ und Irrationalität eindeutig von der Wissenschaft abzugrenzen.

Es ist Zeit, sie sich wieder anzueignen: Die Magie und die Irrationalität.

Überwindung der „spirit phobia“ 

Doch weshalb wurde und wird die Magie und die Spiritualität auch in kritischen, queeren und linken Zusammenhängen eher verdrängt? Welches berechtigte queere Misstrauen kommt da weshalb zum Tragen? Auch diesen Fragen will sich das Hexenküchenprojekt stellen. Es möchte auch eingehen auf völkisch, nationale Mythologien, die im Nationalsozialismus und der neuen Rechten wichtige Funktionen einnahmen und einnehmen und uns den problematischen, weil reaktionären, sexistischen und rassistischen Strömungen innerhalb des New Age und Neo Paganism widmen.

Mit der Aufklärung wurde das Hexenwissen verdrängt, die Geschlechterordnung in heteronormative Zweigeschlechtlichkeit mit eindeutigen Geschlechtscharakteren, die sich komplementär aufeinander beziehen sollten, festgeschrieben. Zahlreiche Philosophen und andere Gelehrte sowie religiöse und spirituelle Denker waren daran beteiligt. Ebenso vollzog sich eine Verfestigung von anderen Dichotomien: so die Schwarz-Weiß-Symbolik und deren Naturalisierung, der Gegensatz zwischen Natur und Kultur, Körper und Geist, Frau und Mann, Wahnsinn und Vernunft, primitiv und zivilisiert. Dies führte zu zahllosen Rassismen und Sexismen, die wir bis heute kennen. Wie auch Federici zeigt, dien(t)en Rassismen und Sexismen der Legitimation des weißen Kolonialismus. Feministische Ökologiekritik (vgl. Haraway) untersucht die Ausbeutung des Planeten Erde vor dem Hintergrund dieser intersektionalen Verbindungen.

Mit feministischer poststrukturalistischer Theorie, feministischem Posthumanismus und dem in ihm enthaltenen sogenannten „neuen“ Materialismus gelingt ein anderes Denken und Aufweichen dichotomischen Denkens. Die Konstruktion/Dekonstruktion von Geschlecht und geschlechtlicher Identität erschüttert die Machtverhältnisse in der Wissensproduktion und ist in ihrer realitätsverändernden Wirkung selbst schon fast magische Praxis. Auf konservative Gemüter mag der Wandel des Geschlechtseintrags wie eine Form der Zauberei wirken, denn das Geschlecht erscheint ihm „qua Natur“ unveränderbar an einen Menschen gebunden. Wenn die Wechselwirkung zwischen Bezeichnung und Bezeichnetem, zwischen Wort und Materie, als eine Konstruktion verstanden wird, öffnet sich die Welt: dies geschah in und mit dem Poststrukturalismus und dekonstruktivistischen Schriften wie denen von Judith Butler.  Bei der Betrachtung der Naturen, der Religionen, der Ökologie stellen sich alte Fragen neu. Ethik und Ontologie erscheinen in neuem posthumanistischem Licht, in dem alles als miteinander verschränkt offenbar wird. An die Stelle von Sein und Zeit tritt ein neues Verständnis von Ontologie: Das Nicht-Menschliche ist Teil des Ganzen und auch ihm wird Handlungsfähigkeit zugewiesen. Die Quantenphysikerin Karen Barad plädiert für eine neue Ethik der Verschränkung.

So ist es ein logischer Schritt, dass wir nun mit diesem Hexenküchen-Projekt nicht nur versuchen wollen altes magisches Wissen wiederzubeleben, sondern auch eine Wissenschaft der Zukunft zu entwerfen, in der auch Magie ihren Platz hat. Dabei greifen wir auf Texte und Theorien von u.a. Donna Haraway und Gloria Anzaldúa zurück, in denen eine queere feministische Spiritualität mit antikolonialistischer, feministischer, ökologischer und emanzipatorischer Politik unmittelbar verbunden ist.

Geschlecht bzw. die geschlechtliche Identität und deren Konstruktion/Dekonstruktion sind zentral für ein neues Verständnis der Zusammenhänge von Magie, Wissenschaft, Hexerei und Feminismus. Sie sind zentral, weil sie an der Schnittstelle von Natur und Kultur angesiedelt sind: Von Körper und Geist, Leib und Seele, von sex (anatomischem Geschlecht) und gender (sozialem Geschlecht). Wenn sex immer schon gender gewesen ist (vgl. Judith Butler „Gender trouble“ in Bezug auf Simone de Beauvoirs „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht“), gleichzeitig keine Hierarchisierung zwischen Körper und Geist, zwischen Materialität und Diskurs stattfindet, vielmehr eine Gleichwertigkeit postuliert wird, dann kann auch das Magische, das Animistische, das Spirituelle in feministische, gesellschaftskritische Praxis integriert bzw. involviert werden, ohne dass es der Entlastung, dem spiritual bypassing dient. Dies sind Themen der Hexenküchengespräche, die hier in unregelmäßigen Abständen erscheinen.

In Zeiten der Coronakrise erleben wir gerade ein Erstarken von spirituellen, holistischen und verschwörungstheoretischen Vorstellungen, die sich mit ihrer Offenheit zur politischen Rechten oftmals mit antiemanzipatorischen und heteronormativen Forderungen verbunden zeigen. Auch als Antwort darauf machen wir uns auf die Suche nach widerständiger queerer Spritualität.